9. November 2003, Parktheater Bensheim
Als ich von Ihrer Präsidentin Frau Monika Klein-Travnicek die Anfrage erhielt, die Rede zu Ihrem Verbandsjubiläum zu halten, sagte ich spontan und gern zu. In den letzten 30 von 50 Jahren hatte ich nämlich etliche fachliche Berührungspunkte und befruchtende Arbeitskontakte mit dem DALV: Ihr Verband ist Mitglied im Trägerverein der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung, die ich seit ihrer Gründung 1970 bis 1996 als Direktor geleitet habe. Diese Trossinger Akademie hat sich als Treffpunkt zur Umsetzung Ihrer Aktivitäten entwickelt.
Als ich von Ihrer Präsidentin Frau Monika Klein-Travnicek die Anfrage erhielt, die Rede zu Ihrem Verbandsjubiläum zu halten, sagte ich spontan und gern zu. In den letzten 30 von 50 Jahren hatte ich nämlich etliche fachliche Berührungspunkte und befruchtende Arbeitskontakte mit dem DALV: Ihr Verband ist Mitglied im Trägerverein der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung, die ich seit ihrer Gründung 1970 bis 1996 als Direktor geleitet habe. Diese Trossinger Akademie hat sich als Treffpunkt zur Umsetzung Ihrer Aktivitäten entwickelt. Hier habe ich zunächst mit Ihrem damaligen Präsidenten Alfred Geisel die jährlichen Fortbildungswochen für Akkordeonlehrer eingerichtet. Etliche Aufführungen von Auftragskompositionen Ihres Verbandes habe ich in Trossingen ebenso wie die Preisträgerkonzerte der Hugo-Herrmann–Wettbewerbe verfolgt. Das von Hugo Noth betreute Manuskripte–Archiv mit Werken für Akkordeon und Ensembles mit Akkordeon habe ich in der Akademie untergebracht. Die letzten Jahre nach meiner Pensionierung war ich als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Volksmusikverbände unmittelbarer Partner Ihres Verbandes, denn der DALV ist Mitglied in dieser bundeszentralen Dachorganisation.
Viele von Ihnen, die Sie der heutigen Einladung gefolgt sind, kenne ich noch aus meiner Zeit als Direktor der Bundesakademie. Sie haben vielleicht gespürt, dass mich der Klang des Akkordeons berührt. Zu einem Schlüsselerlebnis wurde für mich das improvisatorische Akkordeonspiel von Hans Rauch. Hier kamen mir Klangzauber und Schmelz Ihres Instrumentes zu vollem Bewusstsein, obwohl ich das Instrument nie selbst gespielt habe. Meine Instrumente waren Klavier, Orgel, Geige und zeitweise Fagott, Horn und Saxophon. Jetzt bin ich wieder verstärkt zum Klavier zurückgekehrt; unter anderem werde ich demnächst als Klavier – Duo zusammen mit dem Akkordeon – Duo Kiesel, Mitglieder Ihres Verbandes, öffentlich auftreten.
Aus der Rückschau von 50 Jahren ist zu fragen, warum sich Akkordeonlehrer damals zu einer Zweckgemeinschaft solidarisierten? Es existierte doch bereits ein Verband der Musiklehrer, nämlich der Deutschen Tonkünstlerverband, der sich später in „Verband Deutscher Musikerzieher und konzertierender Künstler“ umbenannte. Seine Mitglieder waren und sind nach wie vor hauptsächlich Lehrer der etablierten Instrumente Klavier, Geige, Cello und Querflöte. Unvorstellbar, als Lehrer für Akkordeon in dieser Organisation Heimat zu finden und eigene Interessen durchzusetzen! Das Akkordeon galt 1953 noch nicht als Instrument der Kunstmusik. Dafür fehlten ihm genügend anspruchsvolle Kompositionen und fundierte Lehrmethoden. Es war halt aus Sicht akademisch–klassisch ausgebildeter Musikerzieher ein „anrüchiges“ Instrument, das nur der geselligen Unterhaltung diente. Akkordeonlehrer mit staatlicher Anerkennung gab es ohnehin erst ab 1943, wie Wolfgang Eschenbacher in seiner Schrift „Das Hohner-Konservatorium, die Geschichte einer besonderen Ausbildungsstätte“ nachgewiesen hat. Die Akkordeonlehrer waren also auf Selbsthilfe angewiesen. Folgerichtig schlossen sie sich zu einer eigenen Organisation mit dem Namen „Deutscher Akkordeonlehrer-Verband“ zusammen. Sie wollten „die kulturelle und soziale Gleichberechtigung aller erreichen“, wie Prof. Hugo Herrmann, der entscheidende Mitbegründer, in der Zeitschrift „Der Harmonikalehrer“ formulierte. Unter „Gemeinschaft aller“ verstand er die Lehrer sämtlicher Instrumente einschließlich Akkordeon. Nötig war es deshalb, Schritte zu unternehmen, dass andere Musikpädagogen das Akkordeon als ein vollwertiges und gleichberechtigtes Instrument anerkennen. Gleichzeitig sollte der Verband seine Mitglieder fachlich fördern, damit sie qualifizierten Unterricht erteilen können.
Bei der Verbandsgründung am 12. April 1953 in Frankfurt wurde Alfred Geisel als erster Vorsitzender gewählt. Er hielt dem Verband 24 Jahre lang als Präsident die Treue. Die gleich lange Zeitdauer amtierte sein Nachfolger Dr. Wolfgang Eschenbacher, bevor nun seit zwei Jahren Frau Monika Klein- Travnicek die Präsidentschaft übernommen hat. Dadurch konnte der Verband bruchlos und kontinuierlich seine Ziele verfolgen.
Innerhalb des ersten Jahres traten dem neuen Verband bereits 250 Akkordeon-Lehrer bei. Der Bestand erhöhte sich bis 1963 auf 630 Mitglieder. Diese Anzahl wurde in den folgenden 30 Jahren gehalten, um danach auf 407 zurückzufallen. Für das laufende Jahr meldet Geschäftsführer Keller eine erfreuliche Steigerung auf 440 Mitglieder.
Zurück zu den Verbandszielen Fortbildung der Mitglieder und Aufwertung ihrer Instrumente. Beide Aufgaben ziehen sich als roter Faden durch die 50jährige Verbandsgeschichte. Anfangs konnte sich der DALV bei der Fortbildung im Wesentlichen auf andere Partner stützen, wie die Städtische Musikschule und die Firma Hohner mit ihren Trossinger Musiktagen. Seit Gründung der vom Bund und vom Land geförderten Bundesakademie begann eine Serie von Fortbildungswochen, an denen sich über viele Jahre regelmäßig 40 bis 50 Lehrer beteiligten. Ich weiß es aus eigenem Mittun, wie Ihr Verband und die Bundesakademie diese Lehrgänge in konstruktiver Zusammenarbeit konzipierten, durchführten und im Blick auf Folgelehrgänge auswerteten. Der DALV brachte die aktuellen Themen ein und benannte kompetente Dozenten, die Bundesakademie besorgte das organisatorische know how wie Ausschreibungen, Honorarverträge mit den Gastdozenten, Stundenpläne. Sie bot außer den Unterrichtsräumen angemessene Unterkunft und Verpflegung. Als dritter Partner unterstützte die Arbeitsgemeinschaft der Volkmusikverbände die Lehrgangsteilnehmer finanziell. In den Ausschreibungen war zu lesen: „Den Mitgliedern des DALV wird ein Teil ihrer Kosten aus Mitteln des Bundesjugendplanes rückerstattet“! In den Jahren 1972 bis 1993 flossen 31 000 DM zur Unterstützung lernfreudiger Akkordeonlehrer, sofern sie Mitglied im DALV waren. Bei der Gelegenheit darf ich auch erwähnen , dass für Arbeitstagungen der ehrenamtlichen Vorstände und Beiräte des DALV in diesem Zeitraum nochmals 30 000 DM über die AVV gewährt wurden.
Drei Themen standen im Mittelpunkt der Lehrgänge:
- Spiel auf dem Melodiebassakkordeon
- Gestaltung von Werken neuer Akkordeon- Kompositionen
- Analyse von Unterrichtsliteratur.
Immer wieder wurde dafür geworben, dass sich die Lehrer mit dem Melodiebassakkordeon vertraut machen sollten. Maxmilian Schnurrer schrieb dazu 1974: „Ausgehend von der Feststellung, dass heute kein ernst zunehmender Komponist mehr für das Standardbass-Akkordeon Literatur schafft, wurde die Notwendigkeit einer Erziehung mit den Akkordeon mit linkem Einzeltonmanual begründet.“ 1995 wird der vorläufig letzte Lehrgang des DALV in der Bundesakademie unter dem Titel: „Klang und Ausdruck im Gruppenunterricht des Akkordeons“ durchgeführt. Der Verband verlagerte sein Lehrgangswesen auf Landesebene. Ab dem kommenden Jahr will er die zentralen Lehrgänge an der Bundesakademie wieder aufleben lassen.
Wie sieht nun die Bilanz des DALV aus, sein zweites Ziel zu erreichen, die künstlerische Anerkennung des Akkordeons zu heben? Als wichtigen Schritt zu einer Gleichbehandlung des Akkordeons mit tradierten Instrumenten gelang die Aufnahme in den Wettbewerb „Jugend musiziert“. Die Volksinstrumente Zither, Mandoline und Akkordeon waren ja zunächst vom Jugendwettbewerb ausgeschlossen. Nach langen Verhandlungen von DALV – Vorstandsmitgliedern mit anderen Verbänden und dem Deutschen Musikrat war es so weit, das Akkordeon in den Wettbewerb einzugliedern. Der Verband hatte zuvor eine Literaturliste mit Schwierigkeitsgraden der Musikstücke erstellt. Weiterhin hatte er im Vorfeld Testwettbewerbe in Bezirken eingerichtet. Den ersten Landeswettbewerb in NRW habe ich selbst als Juror miterlebt. Ich weiß daher, wie sehr die Musikexperten gespannt waren, ob die Leistungen der jungen Akkordeonspieler auf der Höhe der Vorträge anderer Instrumentalisten lagen. Der DALV durfte zufrieden sein, denn der Durchbruch gelang, das Eis gebrochen, das Akkordeon lag jetzt auf einer Ebene mit Klavier, Geige und Querflöte.
Ein weiterer Schritt zum Anschluss an tradierte Instrumente war die Vergabe von Kompositionsaufträgen. Dem Akkordeon sollten Möglichkeiten des Zusammenspiels mit Instrumenten anderer Gattungen eröffnet werden. Ab 1974 erteilte und honorierte der DALV jährlich etwa drei Aufträge. Bis heute entstanden dadurch 75 Kompositionen. Folgende Verbindungen kommen vor:
12x Akkordeon + Querflöte
6x Akkordeon + Flöte + Cello
5x Akkordeon + Streichtrio
5x Akkordeon + Schlagzeug
4x Akkordeon + Klarinette
4x Akkordeon + Gitarre
Noch 12 weitere Kombinationen finden sich unter den Auftragswerken. Die Akkordeonwelt hat Dr. Eschenbacher zu danken, dass er immer wieder Komponisten fand, die er für seine Idee begeistern konnte, dem Akkordeon das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten zu ermöglichen. Damit öffnete er auch Fenster für Neue Musik. Fast alle Auftragskompositionen sind verlegt. Die Liste mit den Auftragsstücken dürfte jedem Akkordeonlehrer zusammen mit dem Manuskripte-Verzeichnis der Bundesakademie genügend Auswahl für seine Schüler bieten. Besonders solche Akkordeonlehrer, die an einer Musikschule unterrichten, nutzen diese Chance, den Ruf des Akkordeons als ein künstlerisch ernst zu nehmendes Instrument zu festigen.
Der dritte Schritt, um öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bestand in der Einrichtung von Wettbewerben. Von 1977 bis 1994 führte der DALV Hugo-Herrmann-Wettbewerbe durch. Sie sollten an Prof. Hugo Herrmann, den Vater der Nobilitierung des Akkordeons, erinnern. Acht Wettbewerbe fanden statt. Von allen Preisträgern produzierte der DALV eine CD. Leider fand der Wettbewerb keine Fortsetzung mehr, weil die deutschen Ausbildungsstätten für Musikberufe immer weniger Interesse daran zeigten. Für Studenten war jedoch der Wettbewerb konzipiert.
Der DALV ist zu klein, um sich auf spektakuläre Weise bemerkbar zu machen. Nach innen, für seine Mitglieder, erbringt er jedoch beachtliche Dienstleistungen:
- Ab 1977 betreut Dr. Eschenbacher die Zeitschrift „Das Akkordeon“ als alleiniger Redakteur. 25 Ausgaben sind bisher erschienen mit Nachrichten, ausführlichen Kompositionsanalysen und kritischen Berichten.
- Der DALV vermittelt für seine Mitglieder über Rahmenabkommen Versicherungen zu besonders günstigen Konditionen.
- Mit der GEMA hat er für seine Mitglieder einen Vertrag geschlossen, der eine Ermäßigung von 20% für Konzerte mit E- Musik vorsieht.
- Der Verband gibt Infoblätter zur Umsatzsteuer-Befreiung heraus, er verschickt Unterrichtsvertrags-Formulare und Aufgabenhefte, er gibt Komponistenportraits heraus, informiert über Wettbewerbe auf Landesebene und beantwortet Terminanfragen.
Der DALV bleibt also nach wie vor als Berater für individuelle Anliegen seiner Mitglieder gefragt. Aber wird der DALV heute noch nach 50 Jahren für seine beiden Kernaufgaben gebraucht, Fortbildung der Akkordeonlehrer und künstlerischen Aufwertung des Akkordeons?
Zur Aufgabe Fortbildung: Eine zeitlang galt im Verband die Devise, der Akkordeonlehrer sei mit den verschiedenen Typen des Akkordeons völlig ausgelastet wie Kiddy-Akkordeon, M II, M III, und dazu die verschiedenen Manualanordnungen wie vorgebaut, umschaltbar, Klein- oder Großknopftastatur. Heute, bei zurückgehendem Bedarf an Akkordeonunterricht, ist Vielseitigkeit und Flexibilität der Lehrer gefragt: Musikgarten für die zwei bis dreijährigen Kinder und deren Eltern, Musikalische Früherziehung für die vier bis sechsjährigen Kinder, Leitung von Instrumentalgruppen nicht nur mit Akkordeonspielern, Dirigieren von Akkordeonorchestern, ja auch von Chören. Das Hohner-Konservatorium in Trossingen richtet sich auf diese Anforderungen ein. Es plant solche Studiengänge verstärkt auch für bereits praktizierende Akkordeonlehrer. Bedarfsgerechte Fortbildung mit kompetenter Unterstützung durch den DALV bleibt also notwendig,
Zum Thema Anerkennung des Akkordeons: Das Instrument wird heute weitgehend akzeptiert, dennoch besteht noch Aufklärungsbedarf. Dazu ein Beispiel aus dem Prospekt einer größeren Jugendmusikschule in Baden Württemberg, den ich dieser Tage zufällig in die Hand bekam. Unter der Überschrift „Tasteninstrumente“ steht dort: „Während sich das Klavier als Instrument verschiedener Stilrichtungen und Epochen etabliert hat, wird das Akkordeon immer noch fast ausschließlich in Zusammenhang mit norddeutschen Seemannsliedern oder bayerischen Volksliedern gebracht.“ Diesem einseitigen Verständnis könnte eine bebilderte Broschüre des DALV für Musikschulen, Eltern und Interessenten entgegen wirken. Darin sollte dargestellt werden, welche Typen von Akkordeons sich für welche Altersstufen eigenen, was auf dem Akkordeon zu spielen und zu lernen ist, und mit welchen anderen Instrumenten das Akkordeon in der Gruppe spielen kann.
Nachdem also die Anerkennung des Akkordeons weitgehend gelungen ist, stellt sich die Frage, ob der DALV schwerpunktmäßig seine Linie beibehalten will, E-Musik auf M III- Instrumenten zu fördern. Denn inzwischen eröffnet der gefragte und aktuelle Rock-Pop-Bereich Dimensionen, die ähnlich hohe Ansprüche wie die so genannte Ernste Musik verlangen. Tausende von E-Musikstücken sind im Orkus der Musikgeschichte verschwunden. Jedoch „La Paloma“, 1865 im Nationaltheater von Mexiko uraufgeführt, lebt noch immer. Und es klingt besonders fein, wenn es vom Akkordeon, dem vielseitigen Miniaturorchester, gekonnt zelebriert wird.