Die Komponistin Dariya Maminova im Gespräch
2022 hat der DALV e.V. einen Kompositionsauftrag an die Komponistin Dariya Maminova vergeben. Die 1988 in Sankt-Petersburg geborene Komponistin hat bereits zuvor für das Akkordeon komponiert. Das neue Stück Vanillasong #2, das speziell für Akkordeonist*innen im Kinder- und Jugendalter geschrieben wurde, ist repräsentativ für ihre Musik und wird beim Konzert im Rahmen des Symposiums »70 Jahre DALV« am Samstag, den 04. November 2023 in Frankfurt am Main uraufgeführt. Der Musikjournalist Julian Kämper hat sich mit Dariya Maminova über ihre »micro stories«, die Zusammenarbeit mit Amateurmusikerinnen und ihre Musik für Akkordeon unterhalten.
Julian Kämper: Dariya, deine neue Komposition, die im Auftrag des DALV e.V. entstanden ist, besteht aus kurzen Stücken. Was interessiert dich an dieser Miniaturform?
Dariya Maminova: Ich nenne das Prinzip der kurzen Stücke »micro stories«. Normalerweise ist es bei Kompositionsaufträgen so, dass die Besetzung und die Dauer vorgegeben sind. Da empfindet man schnell Druck, eine bestimmte Länge – zum Beispiel zehn Minuten – komponieren zu müssen. Aber ich dachte mir: Was wäre, wenn ich keinen Zeitdruck habe? Es kommt eine Idee in meinen Kopf oder in mein Herz, ich höre innerlich zu und dann schreibe ich die Skizze.
Kämper: Das heißt die Länge ergibt sich automatisch aus dem Kreativprozess?
Maminova: Ja, manchmal möchte ich die Stücke verlängern, aber es ist, wie wenn sie nicht wollen würden. Ich vergleiche das mit einer Blume, der du sagst, sie solle jetzt schnell wachsen. Das funktioniert nicht. Die Natur hat ihre eigene Ordnung. Deswegen wollte ich auch in diesem Fall eine kleine Reihe mit mehreren kurzen Stücken komponieren und am Ende noch einen Song anfügen.
Kämper: Das steht im Zusammenhang mit deinem Projekt #dariyasongs: du singst deine eigenen Songs und begleitest dich dabei am Klavier – du bist ja auch studierte Pianistin.
Maminova: Ja. Ich habe schon seit langem eine Skizze für einen Song, den ich auf dem Klavier spiele. Und ich fand die Idee cool, dieses »Liedchen« für mein neues Akkordeonstück für Kinder zu adaptieren.
Hier geht es zur Projekt-Website von #dariyasongs. Wer direkt in einen Song reinhören möchte, kann Dariyas Profil auf Soundcloud besuchen.
Kämper: Song-Strukturen sind ja in der zeitgenössischen Musik eher unüblich. In welchem Genre würdest du deine Musik verorten?
Maminova: Das ist schwer zu sagen. Eigentlich mag ich diese Trennung zum Beispiel zwischen Neuer Musik und Pop nicht. Musik ist Musik. Natürlich gibt es verschiedene Richtungen, man hört sofort, ob es sich um Rockmusik oder ein klassisches Stück handelt. Man könnte sagen: Ich bin ein Fass, wo all diese Richtungen zusammenkommen. Ich balanciere mit meiner Musik oft zwischen seriöser Musik und Kitsch. Ist mein Stück eine Unterhaltungsmusik oder ein ernstes Stück? Ernst wird die Musik für mich auch dadurch, dass sie wie erwähnt so kurz und prägnant ist, und ich eben nicht noch mit mehrfachen Wiederholungen und Verlängerungen arbeite.
Kämper: Deine neue Komposition wird am 4. November 2023 im Rahmen des DALV-Symposiums in Frankfurt am Main uraufgeführt. Es spielt ein Schüler der Akkordeonistin Marija Kandić aus Rudolstadt. Tauscht ihr euch aus?
Maminova: Ich habe Marija glücklicherweise in Köln treffen können, um ihr meine Skizzen zu zeigen. Das war sehr hilfreich, weil ich manchmal nicht sicher war, was ein zehnjähriges Kind mit seiner Hand greifen kann. Ich möchte, dass das Stück für die Kinder sehr präzis ist, denn es ist auch sehr fragil.
Kämper: Wann und wie hast du dich dem Akkordeon genähert, wie vertraut bist du mit dem Instrument?
Maminova: Ich habe schon eine längere Geschichte mit dem Akkordeon. Im Jahr 2015 hat das Sinfonische Akkordeon Orchester Hessen meine Komposition … a still small voice … uraufgeführt. Ich war damals Studentin in Detmold und dort gab es auch Akkordeon-Klassen. Ich habe mit Studierenden geredet, sie befragt und Spieltechniken ausprobiert. Das war meine erste Erfahrung mit Akkordeon. Außerdem gibt es von mir ein Stück mit dem Titel Vanillasong. Es existiert in zwei Versionen, aber die erste Version war für Akkordeon solo. Roman Yuispey, ein ukrainischer Akkordeonist und Freund von mir, hat das damals gespielt. Er fragte mich 2017, als ich in Köln studierte, nach einem Stück für Akkordeon. So ist Vanillasong entstanden, und zwar auf Basis einer meiner Song-Skizzen. Für mich war dieses Stück sehr wichtig, weil ich mich von der Erwartung befreit habe, eine bestimmte Gattung oder einen spezifischen Stil zu bedienen. Was ich hier komponiere, nenne ich auch „süße Musik“, also einfach harmonisch und ein bisschen melancholisch.
Der Vanillasong (Interpret: Roman Yuispey) ist bei YouTube zu finden. Die Komposition … a still small voice … für das Sinfonische Akkordeon Orchester Hessen (Dirigent: Thomas Bauer) kann bei Soundcloud angehört werden.
Kämper: Und deine Auseinandersetzung mit dem Akkordeon hört nicht auf: Jüngst hast du von der Edition Zeitgenössische Musik des Deutschen Musikrats eine Förderung für eine Porträt-CD erhalten. In diesem Zusammenhang ist auch ein Stück für ein junges Akkordeon-Trio entstanden. Wie kam es dazu?
Maminova: Der Deutsche Musikrat kümmert sich in einem besonderen Projekt darum, dass neue Musik für Amateurmusiker*innen entsteht. Das finde ich sehr wichtig. Das Akkordeon-Trio „Triolade“ aus Halle ist einer der Preisträger und sie durften selbst auswählen, welcher Komponist oder welche Komponistin für sie ein neues Stück schreiben sollte. Die jungen Musiker*innen haben sich für mich entschieden – und ich war so glücklich! Ich habe mir schon zuvor gedacht, dass es toll wäre, den Kontakt zur jüngeren Generation nicht zu verlieren, um zu wissen, wie sie Musik erleben. Es war für mich ein großes Kompliment, dass sie meine Musik gehört haben und daraufhin mit mir zusammenarbeiten wollten.
Kämper: Welche Erinnerungen oder Eigenschaften verbindest du mit dem Akkordeon?
Maminova: Akkordeon ist für mich eine kleine, lebende Orgel. Und es gibt den Bezug zur Melancholie. Fast alle kennen den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Ich habe diese Filmmusik von Yann Tiersen damals als Jugendliche immer wieder gehört – und das Akkordeon spielt da eine wichtige Rolle. Das hat sicherlich einen Einfluss auf meine Musik für dieses Instrument.
Kämper: Lass uns abschließend nochmal speziell über die Musik sprechen, die im Rahmen des DALV-Kompositionsauftrags entstanden ist. Was passiert musikalisch?
Maminova: Es ist wie ein kleiner Fluss. Rhythmisch wird ein Motiv in Achtelnoten immer wiederholt. Das ist wie ein Zustand, würde ich sagen. Stell dir vor, du gehst spazieren und siehst plötzlich einen Baum, und wenn du den Baum anschaust, drückt das in deiner Seele etwas aus. Das ist nicht wie ein Foto, sondern wie eine story auf instagram. Dieser Zustand ist ein bisschen melancholisch, ein bisschen nachdenklich. Und eine wichtige Rolle spielen für mich die Harmonien. Es beginnt mit einem D-Dur-Akkord mit großer Septime, danach ein Cis-Dur-Akkord, dann wieder D und wieder Cis. Für mich hat jeder Akkord sein eigenes Gesicht oder seine eigene Farbe und ich kann genau sagen: bei diesem Akkord stellt sich dieses Gefühl ein, bei jenem Akkord wechselt das Gefühl. Das klingt vielleicht ein bisschen esoterisch und ist schwer greifbar. Ich könnte es auch als Fraktal bezeichnen: Das ganze Stück ist ein Zustand, aber jeder Akkord für sich ist auch ein Zustand.
Kämper: Wir freuen uns darauf, die Musik bald hören zu dürfen! Dariya, herzlichen Dank für das Gespräch.
Über Dariya Maminova
Dariya Maminova, 1988 in Sankt-Petersburg geboren, ist Komponistin, Pianistin, Sängerin und Interpretin. Sie arbeitet in den Bereichen zeitgenössische instrumentale und elektronische Komposition, Improvisation und Musiktheater. Dariya Maminova studierte Klavier und Komposition am staatlichen Konservatorium Sankt Petersburg sowie Komposition an der Hochschule für Musik Detmold mit Prof. Fabien Lévy und an der HfMT Köln mit Michael Beil, Johannes Schöllhorn und Brigitta Muntendorf.
Ihr großes Interesse gilt der Synthese der experimentellen zeitgenössischen Musik mit Gattungen der populären Musik sowie mit Musik anderer Kulturen. 2012 hat sie mit ihrer Schwester und Schlagzeugerin Malika Maminova das MAMI NOVA project gegründet. Seit 2013 ist Dariya die Teilnehmerin des interdisziplinäres Projektes «Framewalk», organisiert von «Kabawil» in Düsseldorf, wo sie als Komponistin und Interpretin zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern aus Ghana, Äthiopien, Mosambik, Südafrika und Namibia gearbeitet hat. Die Idee einer Synthese verschiedener Gattungen realisiert Dariya auch in Ihrem Projekt Dariya’s Songs, wo sie ihre eigenen Lieder selbst interpretiert. Dariya Maminova ist die Preisträgerin für das Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium im Jahr 2020.
Mehr unter: http://dariya-maminova.com/
Foto: © Yaroslav Kotov
Text: Julian Kämper